Wir möchten zunächst in aller Kürze über den Ausgang des Berufungsverfahrens gegen einen Philosophie-Professor der Erfurter Universität wegen sexualisierten Übergriffen gegen Studierende informieren. Wir melden uns bald noch mit ausführlicheren Worten.
Das Thüringer Oberverwaltungsgericht in Weimar verkündete am 21. März 2023 das Urteil: Der Professor wird endgültig aus seinem Dienstverhältnis entlassen.
Zusammen mit dem Feministischen Forum und dem FSR Philosophie hatten wir unter dem Motto „Kein Raum für Täter! Konsequent gegen sexualisierte Gewalt und patriarchalen Machtmissbrauch am Campus und überall!“ zu einer prozessbegleitenden feministischen Kundgebung aufgerufen. Radio F.R.E.I. war vor Ort und hat O-Töne eingefangen:
Wir haben nach dem Prozesstag ein ausführliches Interview mit Radio F.R.E.I. über das Verfahren, dessen Ausgang und den Umgang mit Sexismus und Übergriffen an der Uni allgemein geführt:
Statement, verfasst von Studierenden der Universität Erfurt
Erfurt, 20. März 2023
Diese Woche findet am Thüringer Oberverwaltungsgericht in Weimar ein Berufungsverfahren gegen einen Professor der Universität Erfurt statt. Das Verwaltungsgericht Meiningen hatte mit einem Urteil im Dezember 2020 die Rückkehr des aktuell suspendierten Professors in dessen Lehrposition und den Erhalt seines Beamtenstatus nach sexualisierten Übergriffen gegen Studierende beschlossen.
Wir
als Studierende der Universität Erfurt begrüßen, dass das
Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale
Gesellschaft als Arbeitgeber des Professors gegen dieses Urteil
Berufung eingelegt hat. Hierauf beziehen wir wie folgt Stellung:
Das
Verwaltungsgericht Meiningen lässt im bisherigen Disziplinarurteil
bewusst den übergriffigen Charakter der Taten außer Acht – trotz
Betroffenenaussagen, die bekräftigen, dass der sexuelle Kontakt
unfreiwillig und aus einem Gefühl der Abhängigkeit gegenüber dem
Professor eingegangen wurde. Dass im Urteil des Verwaltungsgerichts
lediglich von einem „deutlich unangemessenen Verhalten“ die
Rede ist, stellt eine Verharmlosung der sexualisierten Übergriffe
dar, die kaum zu übertreffen ist – gerade in Anbetracht dessen,
dass der besagte Professor für diese Übergriffe bereits
strafrechtlich wegen Vorteilsnahme und versuchter schwerer Nötigung
verurteilt wurde. Es ist zu hoffen, dass das Oberverwaltungsgericht
zu einer anderen Beurteilung kommt und dabei die Betroffenen ernst
nimmt, ebenso wie seine Verpflichtung gegenüber der
Studierendenschaft der Universität Erfurt.
Mit
einer Rückkehr des besagten Professors in den Lehrbetrieb würde
eine potentielle Gefährdung von Studierenden billigend in Kauf
genommen werden. Im Gegensatz zur Universität, deren Aufgabe es
wäre, Studierende zu schützen, hat der Studierendenrat der
Universität Erfurt sich bereits klar und deutlich positioniert: „Das
Ansehen und vor allem das Vertrauen in diesen Professor sind auf
Seiten der Studierenden nachhaltig zerstört!“ Ein solches
Misstrauen steht einer funktionierenden Zusammenarbeit zwischen
Studierenden und Lehrenden in Seminaren, Vorlesungen und
Beratungsgesprächen massiv entgegen. Dies würde sich zu Lasten der
Studierenden auswirken.
Professor:innen,
insbesondere cis-männlichen Professoren, kommt im universitären
Lehrbetrieb eine herausragende Autorität und Machtposition zu. Diese
patriarchalen Machtstrukturen ermöglichen es Beamt:innen, ihre
Position zum Schaden von Studierenden auszunutzen. Der Verbleib eines
derart übergriffigen und sexistischen Mannes in seiner Stellung ist
Ausdruck dieses nicht hinnehmbaren Zustands.
Ein
erneut zugunsten des Professors ausfallendes Urteil und seine
Wiedereinsetzung in den Universitätsbetrieb würde nicht nur uns
betreffen, es hätte darüber hinaus Signalwirkung: Es würde
Betroffenen von sexualisierten Übergriffen signalisieren, dass die
Gewalt, die sie erfahren, nicht anerkannt wird oder egal ist. Es
würde Studierenden und Universitätsangehörigen signalisieren, dass
derartige Übergriffe und die Täter, die sie begehen, ihren Platz an
der Universität haben und behalten dürfen. Es würde
Professor:innen und cis Männern in Machtpositionen signalisieren,
dass sie sich aus der Verantwortung ziehen können und dies billigend
in Kauf genommen wird.
Unsere
Kritik gegen die patriarchalen Zustände endet nicht beim
übergriffigen Professor und nicht beim urteilenden Gericht. Es ist
ein grundsätzliches Problem, dass Betroffenen von sexualisierter
Belästigung und Gewalt sowohl gesellschaftlich als auch juristisch
noch immer oft kein Glauben geschenkt und ihre Betroffenheit in
Zweifel gezogen wird – oft unter Rückgriff auf victim blaming sowie
misogyne und antifeministische Narrative. Diese strukturelle Gewalt
verursacht zusätzliche Verletzungen, sie retraumatisiert, sie
entmündigt – wie Aussagen von Geschädigten nach derartigen
Prozessen immer wieder deutlich machen. Dies sollte dem zuständigen
Gericht und auch der Uni zu denken geben. Die Gegenwart von Sexismus
und sexualisierter Gewalt muss sowohl im juristischen als auch im
akademischen Bereich endlich anerkannt und problematisiert werden.
Hierfür müssen die Betroffenen und ihre Perspektiven ernst genommen
werden. Das Berufungsverfahren birgt die Chance, dies zu tun.
Doch
unabhängig davon, wie das Oberverwaltungsgericht urteilen wird: Wir
geben keine Ruhe! Für uns Studierende sollte die Universität ein
Raum sein, in dem wir uns weiterbilden und entfalten können – und
das unabhängig von unserem (zugeschriebenen) Geschlecht. Wir nehmen
es nicht hin, wenn uns dieser Raum von cis Männern, die ihre Macht
ausüben, genommen wird und stellen uns entschlossen dagegen.
Kein Raum für Täter – Gegen sexualisierte Gewalt und patriarchale Machtstrukturen am Campus und überall!
Erstunterzeichner*innen: campus mackerfrei Feministisches Forum Erfurt Fachschaftsrat Philosophie Studierendenrat der Universität Erfurt Fachschaftsrat Geschichte Hochschulgruppe Fridays for Future Erfurt Kritisches Lehramt QueErfurt Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit Erfurt DGB-Jugend Hochschulgruppe Erfurt
This week, the Thuringian Higher Administrative Court in Weimar will hear the appeal against a philosophy professor at the University of Erfurt. The Administrative Court Meiningen had previously ruled in December 2020 that the currently suspended professor should be allowed to return to his teaching position and retain his civil servant status after sexualized assaults against students.
As students of the University of Erfurt, we welcome the fact that the Thuringian Ministry of Economy, Science and Digital Society, as the professor’s employer, has appealed against this ruling. Our position on this matter is as follows:
In its previous disciplinary ruling, the Meiningen Administrative Court deliberately disregarded the assaultive character of the acts – despite statements by the persons concerned confirming that the sexual contact was entered into involuntarily and out of a feeling of dependence towards the professor. The fact that the judgment of the Administrative Court Meiningen only speaks of „clearly inappropriate behavior“ represents a trivialization of the sexual assaults that cannot be overlooked – especially because the professor in question has already been convicted for these assaults under criminal law on charges of taking advantage and attempted severe coercion. We hope that the Higher Administrative Court will come to a different assessment, taking those impacted seriously, as well as its obligation to the student body of the University of Erfurt.
Allowing the professor in question to return to teach would potentially endanger students. In contrast to the university (whose task it is to protect students), the Uni Erfurt Student Council has already positioned itself clearly and unequivocally: „The reputation and, above all, the trust in this professor by students has been permanently destroyed!“ Such mistrust leads to a failure to cooperate between students and teachers in seminars, lectures, and advisory meetings. This would be to the detriment of the students.
Professors, especially cis-male professors, have a prominent position of authority and power in university teaching. These patriarchal power structures enable officials to exploit their position to the detriment of students. The retention of such an abusive and sexist man in his position would be unacceptable situation.
A verdict in favor of the professor again and his reinstatement in the university would not only affect us, but it would also have a signal effect: It would signal to those affected by sexual assaults that the violence they experience is not recognized and does not matter. It would signal to students and university staff that such assaults and the perpetrators who commit them have, and should be allowed to keep, their place at the university. It would signal to professors and cis men in positions of power that they can escape responsibility and that this behavior is condoned.
Our critique against patriarchal conditions does not end with the abusive professor or the adjudicating court. It is a fundamental problem that victims of sexual harassment and violence are still not believed, both socially and legally, and their victimhood is cast into doubt – often by resorting to victim blaming and misogynistic and anti-feminist narratives. This structural violence causes additional injuries, it retraumatizes and it incapacitates, as numerous statements by injured parties after such processes make clear. This should give the responsible court and the university food for thought. The presence of sexism and sexual violence must finally be acknowledged and thematized in both the legal and academic spheres. To this end, those affected and their perspectives must be taken seriously. The appeals process holds the opportunity to do this.
But regardless of how the Higher Administrative Court will rule: We will not rest! For us students, the university should be a space in which we can further our education and develop – and this regardless of our (assumed) gender. We do not accept it when this space is taken away from us by cis men who exercise their power, and we resolutely oppose it.
No place for perpetrators – Against sexualized violence and patriarchal power structures on campus and everywhere!
First signatories: campus mackerfrei Feministisches Forum Erfurt Fachschaftsrat Philosophie Studierendenrat der Universität Erfurt Fachschaftsrat Geschichte Hochschulgruppe Fridays for Future Erfurt Kritisches Lehramt QueErfurt Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit Erfurt DGB-Jugend Hochschulgruppe Erfurt